In den letzten 15 Jahren haben sich künstlergenerierte Räume überall da entworfen, wo die öffentliche Hand und auch einige Institutionen unattraktive Randlagen und inhaltliche Peripherie vermuteten. An Orten also, an denen die unterschätzte Künstlerschaft vorwiegend allein war und in Ruhe in klassischem Pionierterrain Projekte entwickeln konnte, die trotz subtiler Unauffälligkeit nun doch in den Fokus der Öffentlichkeit geraten sind.
Während das Format im Zentrum angekommen ist, hat sich auch sein Umfeld geändert. Wo man früher angenehme Schattenlagen fand, wird heute der Begriff "Öffentlicher Raum" zunehmend inflationär und indifferent über alles gestülpt, was den intimen Bereich der eigenen Wohnung verlässt. Dabei geht es weniger um Demokratisierung denn um offensive Aneignungsversuche: die unter dem Prädikat des Öffentlichen subsumierten Räume gehören fortan allen und jedem, jeder erlangt ein universales Zugriffsrecht auf sie. Insofern ist die 'Ver-Öffentlichung' von Räumen eher der Versuch einer feindlichen Übernahme durch die Indifferenz des Allgemeinen denn ein offenes Angebot.
Dies gilt auch für Orte künstlerischer Arbeit. Wo alles öffentlich und allen eigen ist, wird die eigene Sichtbarkeit zum Dreh- und Angelpunkt. Wertungen werden durch Fokussierung, Diffusion und Ausblendung formuliert statt durch Inklusion und Exklusion. Um bei der nervösen Betriebsamkeit ins Licht, in den Fokus der Suchmaschinen zu rücken, hat jeder seine Taktik - mancher ist brav, mancher Antagonist: im revoltefreien Raum der Konsensgesellschaft ist der 'schwere Duft der Anarchie' der beste Weg, entdeckt zu werden. Wo eigentlich liegt ein Offspace, wenn es kein Off mehr gibt? Im Zentrum des öffentlichen Interesses natürlich - die Angebote sind einfach zu verführerisch.
Der Gewinn wird nur ausgezahlt, wenn er adressiert werden kann. Kann er immer: Google das mal! Wir wollen geortet werden, in jeder Sprache, jeder Gesinnung, zu Hause und im Off. Während alle vom Netz reden, gibt es nur noch Adressen. Der subversive Zwischenraum, die Nische, die Straße, die kleine Leere zwischen den Lettern ist durch die Inflation von Punkt und Komma zu einer unendlichen Kette von virtuellen Adressen verschmolzen.
Bei soviel Sichtbarkeit sehnt man sich manchmal melancholisch nach "splendid isolation" und der Exklusivität des Außenseiters. Nichts gegen die großen Bühnen - jede Lage, jedes Klima hat seine Qualitäten. Aber es gab gute Gründe, dann und wann die latente Unsichtbarkeit zu wählen: im spezifischen Klima der Schattenzonen lassen sich schlicht andere, subtilere Differenzierungen artikulieren als im harten Licht der Scheinwerfer - das macht sie weiterhin attraktiv und einzigartig.
Wo ist also heute die subtile Schattenlage, der kühle (und nicht coole) Ort jenseits der nervösen Gesten im Fokus? Im Zentrum natürlich! Wo nur noch virtuelle Adressen gehandelt werden wird die Realität zum Pionierterrain, der reale Ort zur idealen Randlage - direkt im Zentrum der Welt. Es bedarf nur kleiner, unmittelbarer Ereignisse an wirklichen Orten, die in direkter Nachbarschaft zum Zentrum dessen Virtualität subtil kommentieren - allein durch ihre Existenz. Places to Be. Orte, die Anwesenheit fordern, die Form fordern. Räume, die in einer Exklusivität des Hier und Jetzt eigene Klimata schaffen, die unikate Qualitäten produzieren. Exklusive Räume, die ihr Publikum durch Aufmerksamkeit sortieren anstatt durch Zugangsrechte. Orte, die sich selbst aktualisieren und weiterziehen, auch wenn der Fokus der Suchmaschinen auf sie fällt.
Künstlerische Projekte haben sich dabei in eine Kontextualität vorgearbeitet, die in ihrer Konsequenz unter den Bedingungen öffentlicher Kontrolle und institutioneller Vermittlung unmöglich ist. Der "Common Sense" bleibt weiterhin der kleinste und langweiligste Nenner, das sollte man nicht vergessen. Zu lange haben wir in seinem Namen die unterschwelligen Reglementierungen einer vordergründig demokratischen Gesellschaft gegenüber unserer Arbeit toleriert.
Die Künstler haben sich das Umfeld Stadt, das Umfeld künstlerischer Produktion oder das der kulturellen Diskurse selbst zurückerobert: als originären Ort ihrer Arbeit und politischen Kontext, der sich rein durch ihr Handeln unabdingbar konstituiert. Die Definitionsmacht liegt wieder bei denen, die sie produzieren: die Kunst, die Inhalte, die Kontextualität - auch das sollte man nicht vergessen. Der Stadtraum ist wieder Ort künstlerischer Aktion (und nicht Reaktion), die sich direkt, unvermittelt, akut und unkontrolliert in die Gesellschaft einschreibt.
Vielleicht ist es wichtig, dabei in einer subtilen Autonomie am Rand der Schatten zu bleiben. Unsichtbarkeit ist eine wertvolle und flüchtige Substanz. Niemand ist auch bald ein Name und Irgendwo ganz schnell ein Ort. Suchmaschinen. No fixed address. 'Andere Räume' sind ephemer, kurzlebig, unbeständig, autonom, ambivalent. Sie tauchen unter, sie ziehen bald weiter. Ihre Wurzeln treiben im Winter unsichtbar unter der Oberfläche aus, und dann tauchen sie irgendwo auf, in einem Frühling, für einen Moment und eine Weile, unbemerkt, unerwartet und präzise, out of focus, out of sight - mitten im Zentrum der Welt.