Das kleine Hotelzimmer in der Rue du Bèguinage war nur schwach durchs Fenster von Außen beleuchtet, als ich es betrat. Es bot einen weitläufigen Blick über diese sich selbst zerfleischende Architektur Brüssels. Ich ließ das Licht einen Moment lang aus, um den Blick von diesen bedauernswert zusammengeschusterten Dachstühlen aus schwarzer Teerpappe, unter denen sich die Behausung noch bedauernswerterer Bewohner vermuten ließ (und deren depressive Zerrüttung die Erinnerung an de Cordier's Arbeiten wachruft) über ein paar mittelmäßig sanierte Altbauten hin zu diesen unsäglichen Hochhausbrutalismen Brüsseler Prägung am Horizont zu genießen.
Nach einer Weile fand ich in meinem Blickfeld auf der Scheibe die Spiegelung des kleinen Badezimmers mit dem sich darin befindlichen Spiegel eingeblendet, der mich selbst nun als Friedrich'sche Rückenfigur auf das Stadtszenario zauberte. Gleichwohl sich das Bewußtsein der Selbstverdoppelung im Spiegel sofort aufdrängte blieb durch die Verschachtelung des Bildes ein nicht zu reduzierender Grad von Selbstfremdheit Ambach'scher Prägung im Raum etabliert, der mich dazu veranlaßte, ihn mittels einer Postkarte (sie zeigte eine Brüsseler Schönheit neben der ausgebrannten Kathedrale St. Jean Baptiste) auf das Hotel aufmerksam zu machen.
Wir kennen uns persönlich nur flüchtig, aber diese Geschichte der Wiederholung (nicht nur) des Selbst, die sich in Ambach's Arbeiten so oft wiederfindet, hat mich in seiner Einfachheit deshalb nachhaltig berührt, weil sie entgegen der reinen Verdoppelung eine Differenz ins Bild setzt, die für mich dramatisch ist: eine Differenz zwischen uns und uns.
Waren seine früheren Lichtarbeiten, die ich nur aus Katalogen kenne und in denen oft die Spiegelung zur unendlichen Fortsetzung des leeren Raumes herhalten mußte, von der Idee der reinen, endlosen Wiederholung des ewig gleichen Raumes durchzeichnet, scheint sich Ambach an irgendeinem Punkt in einer 180°- Drehung auf den eigenen Verfolger in diesem Raum (der immer noch derselbe ist) gerichtet zu haben.
Bei der darauf folgenden Begegnung, die die heutigen Fotoarbeiten versetzt nachzuzeichnen scheinen, verliert sich das Ungeteilte (also das Individuum...) in den ihm fremden Facetten seiner selbst, in der Zerteilung und Auslagerung seiner jetzt schon multiplen Persönlichkeiten, die der immer noch unendlich scheinende, aber nun nicht mehr geordnete, labyrinthhafte Raum in der Spiegelung und Brechung an ihm vornimmt, um die Akteure gleichzeitig auf einer Bühne einzuschließen, zu arrangieren und untereinander in Szene zu setzten. Daß diese Differenz auf dem gleichen Spielfeld ausgetragen wird, begründet diese unreduzierbare Distanz, die zwischen den Akteuren zu herrschen scheint, die bald in ihrer manchmal fast verklärenden Unschärfe auch visuell nicht mehr eindeutig sind und einen von sich selbst als dem Anderen träumen lassen.
Aber die Bilder und Arbeiten gehen weiter als dieses Schauspiel des Selbst, wenn die Akteure plötzlich die Black Box der Bühne verlassen um einen Raum zu begründen, der schon weit auf unserem Terrain zu liegen scheint, um dort zu Protagonisten zu werden, deren undurchschaubares System von Referenzen, Zusammenhängen, Bezügen, Querverweisen, Zitaten, Zweideutigkeiten und Täuschungsversuchen unser Wertesystem verunsichernd befragt. Wie Spione, deren Kalkül die Ökonomie unserer Individualismen auskundschaftet und verwirren will, stöbern sie in den Grundfesten unserer Egos, ohne ihnen selber fremd zu sein. Sie haben nicht die Form des Opportunismus angenommen, um sich dort einzunisten, sind aber auch nicht revolutionär. Sie veweisen nur subversiv auf Orte, Plätze und Positionen, und meistens begehren wir alle diese gleichzeitig. Das ist ihr System, das ist ihre Form der Verführung.
Ich lernte Ambach kennen, weil ich eines meiner Bücher in einem seiner Bilder entdeckte. Offensichtlich war das Cover gefälscht: das Konterfei, das unter meinem Titel prangte, war ihm selbst sehr ähnlich- oder verwechsle ich es mit dem Ökonom, den ich einige Tage zuvor flüchtig auf einer Messe für neue Energieformen kennengelernt hatte? Ich kann mich nicht mehr genau erinnern. Wir (Ambach und ich) haben uns persönlich nur einmal kurz getroffen, hier in Brüssel anläßlich einer Vernissage, glaube ich, war es. Aber die Arbeit hat mich über Jahre bis hierher in dieses Hotelzimmer verfolgt, was ich als ermutigendes Zeichen für mich und die Arbeit werte...
* Steven Peckham (*1967) ist Autor div. Essays und Romane wie u.a. "False movement", "The man who lost his name", "Cinemateca" etc., er lebt in Chicago