Katharina Sieverding • Neïl Beloufa • Ines Doujak • Natascha Sadr Haghighian • Andreas Siekmann • Manuel Graf • Paloma Varga Weisz • Christine und Irene Hohenbüchler• John Miller • Christian Odzuck • Pola Sieverding • Fari Shams • Maximiliane Baumgartner | Alex Wissel • Palina Vetter • Mira Mann | Sean Mullan • Isabella Fürnkäs • Jan Hoeft
Zum ausführlichen Programm: vonfremdenlaendern.de
DER BAHNHOF
Der Bahnhof ist ein besonderer Ort in der Stadt. Kaum ein anderer ist mit so mannigfaltigen Projektionen belegt wie er. Als Empfangsraum verknüpft er das Lokale mit dem Globalen, den Ort mit der Landschaft, das Eigene mit der Welt. Das ihn umgebende Quartier ist ein Übergangsraum, eine ambivalente Grauzone zwischen den Welten, in der sich dieser Wechsel andeutet. Es ist der Ort des Anderen, das fremd, beunruhigend und zugleich anziehend erscheint. Das Andere erlaubt es uns, uns selbst zu entkommen. Der Traum vom Reisen in fremde Länder, in dem sich diese Form spiegelt, mischt sich hier mit den Träumen jener, die aus der Ferne zu uns gekommen sind.
Als Welt in der Welt bildet das Bahnhofsquartier in der Stadt einen Mikrokosmos. Little Tokyo, Quartier Latin, Chinese Village, Little Africa – die Welt-Stadt kann sich nur als solche bezeichnen, wenn sie eben diese in sich aufnimmt und sie widerspiegelt. Als Miniatur und Modell beherbergt das Bahnhofsviertel das Globale wie Lokale, das Fantastische wie das Profane, die Anziehungskraft des Fremden wie auch das Heimische und Unheimliche.
Im anonymen Strom der Reisenden verbirgt sich oft, was andernorts in der Stadt keinen Platz gefunden hat und ihr wiederum fremd zu sein scheint. Menschen ohne Ort, das Milieu und Kreative, Andersdenkende und Angekommene, Anziehendes und Abgründiges. Um den Nukleus der Reise formiert sich ein Feld all dessen, was ständig in Bewegung ist. Internationale Viertel erlauben es uns, uns in der eigenen Stadt der Welt behutsam zu nähern.
IN DÜSSELDORF
Wie kaum ein anderes Quartier in Düsseldorf zeigt sich das Bahnhofsviertel heute als komplexer wie problematischer, heterogener wie unbekannter Stadtraum, der aktuell nach seiner Zukunft sucht. Ob am hart umkämpften Worringer Platz oder im zurückgedrängten Rotlichtmilieu um Mintrop- und Vulkanstraße, im nordafrikanisch geprägten Viertel an der Ellerstraße oder am postmodern-megalomanischen Ensemble des Bertha-von-Suttner-Platzes: Zwischen Projektraum und Boxkneipe, legendärem Künstleratelier und Kraftwerk-Tonstudio, japanischer Subkultur und afrikanischem Ethnokult realisiert sich ein letzter Moment urbanen Lebens in seiner ganzen Härte, Heterogenität und Schönheit.
Diese seltene Sequenz städtischer Vielschichtigkeit steht aktuell ökonomisch und politisch unter Druck. Wo im Zentrum der Städte der Rückzug von Großakteuren wie Bahn oder Post attraktive ökonomische Möglichkeiten für Investoren und städtische Begehrlichkeiten bietet, muss eine engagierte Diskussion geführt werden, um stadtplanerische Perspektiven, kulturelle Werte und die Anliegen der lokalen Akteure in einer zukünftigen vitalen Urbanität zu komprimieren.
IM KONTEXT
Dabei stehen Fragen im Vordergrund, die augenscheinlich in den Stadtraum eingeschrieben sind: Wie sind die monumentalen Entwürfe der 1980er-Jahre heute zu bewerten? Wurden an sie damals dieselben Fragen und Anforderungen gestellt, wie wir sie bei den aktuellen großen Neubauvorhaben im Gebiet formulieren? Sind unsere Antworten darauf heute weiterhin allein vom Diktat einer radikalisierten Ökonomie geprägt oder haben wir dazugelernt? Werden Bürgerbefragungen als wirkliche Beteiligungsprozesse gestaltet oder professionalisieren sie sich weiterhin in einem beim Bau unberücksichtigten „Schön, dass wir drüber gesprochen haben“? Finden wir Wege, die vielschichtigen Qualitäten dieses urbanen Raums in einem produktiven Miteinander von zukunftsweisenden Neuentwicklungen, vorhandenen lokalen Stärken und historischen Schwerpunkten zu organisieren? Das Projekt diskutiert diese Fragen mit Künstlern, Anliegern und jenen, die mit der Organisation der Zukunft des Viertels betraut sind.
In der ersten Phase geht das Projekt "Von fremden Ländern in eigenen Städten" mit Künstlerinnen und Künstlern, Stadtforscherinnen und Stadtforschern, den Akteuren des Viertels und der Bevölkerung den verborgenen Qualitäten des Bahnhofsquartiers nach. In thematischen Führungen durch die jeweiligen Stadtteile, Lesungen an ungewöhnlichen Orten, künstlerischen Projektvorstellungen im Umfeld ihres späteren Kontexts, kulinarischen Rundgängen oder kleinen Forschungsprojekten sucht das Projekt nach den originären Erzählungen der einzelnen Viertel und zeigt erste Kooperationen mit Akteuren des Quartiers.
"Von fremden Ländern in eigenen Städten" untersucht in einem über 2 Jahre angelegten interdisziplinären Recherche- und Ausstellungsprojekt das Bahnhofsviertel als städtische Typologie und lokales Modell internationaler Spannungsfelder zwischen globaler Fluktuation und Heimat, zwischen Flucht und Migration, zwischen Multikulturalität und der forcierten Konfrontation verschiedener Kulturen. Nicht nur als Passagenraum, sondern auch als Empfangsort und multikulturelle Schnittstelle der Städte von Interesse, beherbergt es wie kaum ein anderes Quartier heterogenste gesellschaftliche Gruppen, Nationalitäten und Religionen. Dazu steht es ökonomisch unter Druck. Denn der Rückzug von Großakteuren wie Bahn oder Post bietet Städten und Investoren attraktive ökonomische Möglichkeiten im Zentrum der Städte.
Das Projekt begreift sich als Langzeitprojekt. In einer öffentlichen Forschungsphase in 2017 wird mit Künstlern, Stadtforschern und der Bevölkerung den Narrativen des Stadtraums “Bahnhofsviertel" nachgegangen. Im Jahr 2018 zeigen sich die Ergebnisse dieser Forschungsphase in einem großen Ausstellungsprojekt mit Kunst im öffentlichen Raum, Theater- und Tanzproduktionen, Filmprojekten und Kooperationen mit den Anliegern des Viertels. Der Prozess wird begleitet von einer Diskussion, die nachhaltige Erkenntnisse für aktuelle und folgende Stadtplanungsprozesse generiert.
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