Die Arbeit entstand anlässlich des Festivals "Theaterformen" in Braunschweig und Hannover.
Als benutzbare Bibliothek war sie dort während des Festivals den Besuchern im Foyer des Braunschweiger Schauspielhauses zugänglich.
Sie basiert einerseits auf der Erzählung "Die Bibliothek von Babel" des autors Jorge Luis Borges. Der argentinische Autor stellt in seinem Text die absolute Bibliothek vor, die alles, aber auch alles innerhalb des Sprachraums darstellbare, also sinniges wie unsinniges, Texte wie auch wahllose Aneinanderreihungen von Buchstaben enthält. Sie beherrbergt schlicht jegliche mögliche Kombination der verwendeten 24 Zeichen.*
Die Totalität dieser Bibliothek findet sich anhand der Borgesianischen Beschreibung modellhaft nachgebildet im innern des Tisches, einsehbar durch eine brunierte Glasscheibe, die die künstliche Athmosphaere der Bibliothek isoliert. Die Kabinette werden durch Spiegel endlos fortgesetzt, die Bücher zeigen nicht die Rücken, sondern das abstrakte Weiß der Seiten.
Andererseits verkehrt sich die triste, unzugängliche Totalität der Babylonischen Bibliothek außen in die individualisierte "Bibliothek der Künstler": alle an Produktionen des Festivals beteiligten Künstler wurden gebeten, die ihnen wichtigsten drei Bücher zu nennen. sie füllen die Bibliothek und eröffnen auch visuell auf ihren Rücken eine komplexes Diagramm inhaltlicher vieldeutigkeit.
Die Bibliothek der Künstler konnte von den Festivalsbesuchern genutzt werden und wurde nach Festivalsende durch Versteigerung der Bücher zerstreut, wodurch sie nun eine neue, nur latent zu fassende Form, verteilt auf die Regale der Besucher, erhalten hat. Ein Stempel im inneren deutet weiterhin auf ihre Zugehörigkeit zur "Bibliothek der Künstler".
*Auszüge aus
"Die Bibliothek von Babel"
*"Das Universum (das andere die Bibliothek nennen) setzt sich aus einer unbegrenzten und vielleicht unendlichen Zahl sechseckiger Galerien zusammen, mit weiten Entlüftungsschächten in der Mitte, die mit sehr niedrigen Geländern eingefasst sind. Von jedem Sechseck aus kann man die unteren und oberen Stockwerke sehen: ohne ein Ende. Die Anordnung der Galerien ist unwandelbar dieselbe. Zwanzig Bücherregale , fünf breite Regale auf jeder Seite, verdecken alle Seiten außer zweien: Ihre Höhe, die sich mit der Höhe des Stockwerks deckt, übertrifft nur wenig die Größe eines normalen Bibliothekars. Eine der freien Wände öffnet sich auf einen schmalen Gang, der in eine andere Galerie, genau wie die erste, genau wie alle, einmündet."(...)
(...)In dem Gang ist ein Spiegel, der den Schein getreulich verdoppelt. Die Menschen schließen gewöhnlich aus diesem Spiegel, dass die Bibliothek nicht unendlich ist (wäre sie es in der Tat, wozu diese scheinhafte Verdoppelung?); ich gebe mich lieber dem träumerischen Gedanken hin, dass diese geschliffenen Oberflächen das Unendliche darstellen und verheißen...Licht spenden ein paar kugelförmige Früchte, die den Namen "Lampen" tragen. Es gibt derer 2 in jedem Sechseck, seitlich angebracht. Das Licht, das sie aussenden,ist unzureichend, unaufhörlich.(...)
(...) Dieser Denker stellte fest, dass sämtliche Bücher wie verschieden sie auch sein moegen, aus den gleichen Elementen bestehen: dem Raum, dem Punkt, dem Komma, den 22 Lettern des Alphabets. Auch ührte er einen Umstand an, den alle Reisenden bestätigt haben: in der ungeheuer weiträumigen Bibliothek gibt es nicht 2 gleiche Bücher. Aus diesen unwiederleglichen Prämissen folgerte er, dass die Bibliothek total ist und dass ihre Regale alle irgend möglichen Kombinationen der zwanzig und soviel orthographischen Zeichen verzeichnen, mithin alles, was sich irgend ausdrücken lässt: in sämtlichen Sprachen. Alles: die bis ins einzelne gehende Geschichte der Zukunft, die Autobiografien der Erzengel, den getreuen Katalog der Bibliothek, Tausende und Abertausende falscher Kataloge, den Nachweis ihrer Falschheit, den Nachweis der Falschheit des echten Katalogs, das gnostische Evangelium des Basilides, den Kommentar zu diesem Evangelium, den Kommentar zum Kommentar dieses Evangeliums,die wahrheitsgetreue Darstellung deines Todes, die Übertragung jeden Buches in sämtliche Sprachen, die Interpolationen jeden Buches in allen Büchern, der Traktat, den Beda hätte schreiben können (und nicht schrieb), über die Mythologie der Sachsen, die verlorenen Bücher des Tacitus. (...)"
aus "Die Bibliothek von Babel"
Jorge Luis Borges